Ganz anders als der Spruch meines Vaters in früheren Tagen, wenn er meine mit „Lieblingsklamotten“ aus meinem Teenager-Leben als Läufer und Heavy Metalfan zugehängte 8m² Bude in der elterlichen Wohnung mit dem Spruch: „Wie schnell doch so ein Jahr vergeht, schon wieder mal warm duschen für Dich angesagt!“ betrat, so ewig lang kam mir die Pandemie-bedingte Ironman-Pause seit 2019 vor.
Und dann seit Monaten die bange Frage „Kann der Ironman Hamburg stattfinden? Oder doch nicht? Inzidenz runter, alle Klubs, Kneipen und Shops auf! Na hoppla, Inzidenz geht doch wieder hoch, am Besten, alle schnell nach Hause zum nächsten Lock Down“.
Dann endlich die klare Ansage der Stadt – „WIR ZIEHEN DEN IRONMAN FÜR EUCH DURCH!!!“ – und die Vorfreude auf die Stadt und unser Familienwochenende im Norden war riesig!
Raceday, 06:30 Uhr und während das Profirennen startete, stand ich im Niesel, mit Mundschutz und in Hotellschlappen am LKW, um meine Habseligkeiten für den Nachmittag abzugeben.
Es war kalt, es war dunkel, feucht sowieso – und die Vorfreude auf einen spannenden Tag mit viel Sport an der frischen Luft war einfach großartig!!!
10 Minuten später ordnete ich mich in die Startbox für die Athleten mit einer angepeilten Schwimmzeit von 65 Minuten ein. Bis April war ich wie alle um mich herum die vorher gegangenen 8 Monate ein zertifizierter Nichtschwimmer – es gab schlichtweg keine geöffneten Schwimmbäder und um mich den Lausitzer Eisbadern anzuschliessen, die sich regelmäßig ihr Eisloch in den Steinbruch hackten und dort eine Weile hin und her paddelten – dazu war ich im Kopf einfach nicht hart genug. Somit startete die Schwimmsaison erst bei 14 Grad Wassertemperatur in unserem Teufelsbruch erst im Mai. Ein heftiger Schwimmblock mit mehreren „Double Swim Days“ Ende Juli und im August brachte mir aber mächtig Selbstvertrauen und der tolle Hamburger Pool „Alster“ tat sein übriges.
Und schon war ich an der Rampe und es lief mein Countdown runter!
5 (ich versuchte mir die Maske von den Ohren zu zerren, hatte natürlich meine beiden Badekappen bis tief über die Ohren ob der kalten 17 Grad Wassertemperatur gezogen)
4 (Scheisse, Maske klemmt)
3 (geil, Maskengummis gerissen, Ohren brennen aber wie Sau)
2 (Maske ab aber Ohren noch dran)
1 (ich muß meine Uhr starten)
GO!!! (bloß nicht auf die Fresse fliegen bei den 5 Schritten die steile Rampe runter).
Und KALT!
Und DUNKEL!
Und LÄUFT GEIL!!!
Die knapp 4 Kilometer Sightseeing auf dem Wasser flogen trotz der Dunkelheit über und unter dem Wasser an meiner hellen, ungetönten Brille genauso schnell vorbei, wie meine Arme durch das frische Alsterwasser pflügten – was für ein Fest!
60 Minuten und paar Sekunden später zogen mich vor gigantischer Kulisse direkt vor dem Rathaus helfende Hände aus dem Wasser auf die Rampe und dann begann der lange Marsch über Hamburgs Promeniermeile.
Stolze 750 Meter vom Swim-Exit bis zum Radaufstieg zeigte mir meine Suunto am Abend und da mein Rad gleich am Anfang der Wechselzone stand, konnte ich das Bike und vor allem mich nach dem kalten Renn-Auftakt gute 600 Meter „warm“ schieben, bevor ich die Kurbel das erste mal drehte.
Trotz Überschuhen und zweiter Windweste klapperte ich die erste Runde auf dem Bike doch ziemlich erbärmlich und freute mich jedes Mal, wenn wir die 500 Meter durch den Wallringtunnel demmeln durften – da war der Belag trocken und durch die abgestandene Luft war es für eine knappe Minute doch gleich mal 5 Grad wärmer. Und jedes Mal endete die Fahrt durch diese Wohlfühloase für die nächsten knapp 60 Kilometer mit einem feinen Ganzkörperschauer von oben.
Nach 15 Kilometern waren wir aus der Stadt und die Strecke schlängelte sich angenehm auf einer feinen Straße bis zur Wende nach 30 Kilometern dahin.
Bei mir lief es supergut, es war mein erster Ironman mit Wattmesser und ich wollte im Schnitt 230 Watt treten und das Bike nach 4:45h wieder an der Alster abstellen.
Warum? Mein FTP liegt bei 320 Watt und bei den Olympischen Distanzen dieses Jahr bin ich sehr gut mit 276-280 Watt durchgekommen. Alle meine Intervalle im Training bin ich ebenfalls mit 260-300 Watt sehr gut gefahren. Also dachte ich mir, kann bei 230 Watt nix schiefgehen und der Marathon hinten drauf fetzt dann ebenfalls noch!
Nach der ersten Radstunde hatte ich 228 Watt, 37,5km/h – passt. Leider drückte mir aber bereits seit dem radaufstieg die Blase. Was mach ich da jetzt? Öffentliches Pinkeln wird zurecht mit Rot geahndet. Andererseits lief mir seit Anbeginn sowieso der Schmodder die ganze Zeit die Beine runter. Aber die Hemmschwelle ist einfach noch zu groß, sowas trainiert (ein normaler Athlet) ja auch nicht im Training, das ist ja einfach nur eklig. Also im Nirwana zwischen den Schafen kurz abgestoppt, Geschäft erledigt, weiter.
Und wieder piepte die Uhr, ich hatte den Timer alle 20 Minuten gestellt, um mich an die Energieaufnahme zu erinnern.
Naja, und ab Kilometer 50 wurde es dann meine neue Art des Koppeltrainings: Suunto piept, kurz auf 40 km/h und 270 Watt beschleunigt, ein Schluck aus der Gelpulle, aus dem Sattel, Stretching, „Laufen lassen“ und bei 20 km/h und 0 Watt dann wieder mit dem Pedalieren eingesetzt.
Gute 10 Mal habe ich diese Art des „blasenschwachen Koppeltrainings“ geübt, 14 Gels aus meiner Radpulle verdrückt, während es unten wieder „rauslief“.
So im Nachhinein klingt das alles ziemlich assozial – aber im Rennen selbst war mir das scheissegal. Zumal es mich „untenrum“ für Augenblicke auch kurzzeitig orima erwärmt hat…
Meinen Schnitt habe ich dadurch leider auf bissl über 36 km/h sowie 217 Watt altersgerecht abgesenkt. Dann hatte dieser Kampf „Not gegen Elend“ endlich ein Ende und ich hatte gute 179 Kilometer auf dem Tacho und durfte mein Bike wieder an der Alster einparken.
Und ganz ehrlich – trotz der kurzweiligen Radstrecke – wohl auch zum Teil durch mein eigenes Unvermögen wurde mir niemals langweilig und es fühlte sich durchweg wie eine Anfahrt zum eigentlichen Intervalltraining an, aber wer weiß, wie das noch weiter geht – hatte ich die letzten 2 Stunden auf dem Bike meinen Fokus komplett auf ein ehrliches, aufrechtes Finish irgendwann vor dem Rathaus gelegt – Don’t give up!!!
Diesmal mußte ich mein Bike nur 500 Meter schieben, dann ging’s in’s Wechselzelt. Windweste aus, Blackroll aus der Tüte, in den Schmodder gelegt und die Wirbelsäule mit lauten Knacken herrlich entspannt – was für eine Wohltat!
Am Abend hatte ich mich dann für die Variante „All In“ entschieden – Marathon entweder in 3:10 oder 4 Stunden. Also Kompressionssocken, Vaporfly, 6 Gels und Abflug!
Lief gut – bis zum ersten Dixiklo. Denn was ich am Rad begann, wollte meine Blase leider auch beim Lauf forstsetzen. O.K., einmal kann nicht schaden – sagte mein Verstand und ich sprang in die blaue Plastebude. Während es unten weiter „flüssig durchlief“ nutzte ich die Minuten zum Stretching. Ja, richtig gelesen – man kann mit Puls 160, nach 6 Rennstunden im Regen beim Pinkeln auf einem halben Quadratmeter auch noch ausreichend gut die Waden und Oberschenkel dehnen. Die Optik war jetzt sowieso egal, beim Hochzerren der Strümpfe merkte ich bereits, wie sich am ganzen Körper eine schöne Kruste Hamburger Allerlei verteilt hatte.
Ich kann Euch das gut berichten, denn unten lief es unvermindert durch. Also gleich noch ein Gel im Klo oben nachgedrückt und dann ab zurück in’s Rennen.
Und jetzt wird es – im Nachhinein – leider etwas betrüblich. Durch meine momentane Verfassung entschied ich mich, den ersten Halbmarathon sehr defensiv anzulaufen. Und da ich in dem Moment die Frauenspitze (welche bereits eine Runde weiter war) erreichte, dachte ich, bleib ich einfach hier, das Tempo ist ziemlich easy. Und so fand ich einen guten Rhythmus, nahm vor jeder Verpflegungsstelle einen Schluck aus meiner Gelpulle und spülte mit Wasser&Iso nach.
Bis meine Blase wieder den Finger hob. FUCK!!! Statt dass ich körperlich am Limit war, kamen mir jetzt fast die Tränen – was ist nur los! Sämtliche Trainingseinheiten dieses Jahr – selbst die Handvoll 7 Stunden Koppeltrainings – absolvierte ich mit maximal einem Boxenstopp. Aber da war es trocken, warm, ohne Wettkampfstress. Naja, egal, machte ich eben das Dutzend für heute voll und wurde erneut freundlich von meinem persönlichen Dixi empfangen. The same Procedure as before – Stretching, Gel, Strullern. Ich dachte auch kurz daran, eventuell meine Nummer aussen dran zu hängen, damit auch jeder Bescheid wußte, dass dies meine Bude für den Rest des Marathons war…
Und irgendwann rannte ich erneut am verrückten ZOOT-Fanclub vorbei – 28 Kilometer waren absolviert, als mein Kopf das Kommando übernahm und „Shut up Heulsuse!!!“ brüllte.
Dazu kam, dass die komplette Laufstrecke durch das Stadtzentrum führte, abwechslungsreich war und es keine 100 Meter gab, an denen uns keine Zuschauer pushten.
Hamburg rockt einfach von Anfang bei Ende!!!
Ich kann mich eigentlich nicht erinnern, dass ich in den letzten Jahren, bei meinen über 30 Langdistanzen einmal bei Kilometer 37 noch richtig Bock auf den Lauf hatte, bei Kilometer 40 noch zulegte und den letzten Kilometer laut meiner Suunto noch in 3:57 Min laufen konnte.
Das Adrenalin schob mächtig, die Zuschauer feierten, ich feierte und nach 9:22h und (wie ich danach beim Umziehen im „Athletes Garden“ von einem anderen Athleten und dessen Handy-Tracker erfahren konnte) einer vorderen Platzierung in meiner Agegroup, war mein Rennen leider auch schon wieder vorbei – ein grossartiges Gefühl, Gänsehaut überall!!!
Was in dem Moment geil klingt, ist mit dem Abstand eines Tages und ein bisschen Analyse etwas schade und zeigt, dass ich viel zu defensiv gelaufen bin. Auch dass ich meinen ersten Krampf abend im Hotel bekam, als ich mich auf dem Sofa nach hinten verrenkte, um mir die nächste (alkoholfreie) Bierdose der Athletes Brewery aus dem Verpflegungsbeutel angeln wollte und dabei meine eingeschränkte Motorik etwas vernachlässigte (zu recht – es ging um eine kühle Dose BIER!!!), zeigt mir, dass ich beim Lauf die 3:10h in den Beinen hatte.
So steht 3:15h auf der Uhr, meine reine Bewegungszeit (ja, die Suunto ist so gehässig, dass sie „Stehzeiten“ in meinem Stamm-Dixi auf der Strecke herausrechnen kann) für den Lauf lag bei 3:12.
Apropos gehässig – auch auf der Radstrecke piepte der Dreckswecker in der Stadt regelmäßig.
Denn während ich wie auf Eiern um die diversen Kurven schlitterte, dachte sie, ich mach Pause, weil sie kaum Bewegung und Vortrieb wahrnehmen konnte. Aber besser so eine gehässige Uhr und sturzfrei anstatt – wie leider einige der Athleten im Rennen – zuviel zu riskieren und über den glatten Asphalt zu schreddern.
Das Fazit:
Der Tag in Hamburg war legendär und meine Performance lässt mir (glücklicherweise) noch Reserven.
Und auch wenn ich das nächste Rennen gern in der Wärme fighten möchte, werden wir definitiv wieder zurück an die Alster kommen.
Denn da ist noch etwas für jeden von uns in der Familie zu erledigen!
Mein Sohn fand das Gym, welches meine Frau ihm suchte&buchte – cool, meine Kleine konnte bei dem Wetter gar nicht die Shopping Meile heimsuchen und die Elbsinfonie haben wir zwar gestern von aussen bei unserer Schnitzeljagd durch Hafencity und Speicherstadt bestaunt.
Aber jetzt wäre natürlich eine besuchte Veranstaltung in diesem phänomenalen Gebäude – natürlich als Koppeleinheit mit dem Ironman in der City – der nächste Schritt…
Es hört einfach nie auf – haut rein und don’t stop training!!!