Skip to content

Tour de Völkerschlachtdenkmal – 15. Juli 2021

Knapp ein viertel Jahr war es her, als in mir der Gedanke aufkeimte, mal wieder etwas extremes, abseits des Leistungs- und Intervalltrainings, zu starten. Da meine große Leidenschaft das schnelle bzw. zügigere Radfahren ist, lag die Sache auf der Hand: Es muss etwas mit Radfahren sein. Relativ schnell wusste ich auch schon das Ziel meiner Eintagesreise. Das knapp 133 Kilometer entfernte Völkerschlachtenkmal in Leipzig sollte es werden – hin und zurück natürlich.

Nachdem ich die erste meiner zwei Juliurlaubswochen in Österreich die Berge ohne größere Mühen hoch und runter gestrampelt bzw gedonnert bin, wusste ich, dass ich körperlich als auch mental fit genug bin, die „Tour de Völkerschlachtdenkmal“ in meiner zweiten Urlaubswoche anzugehen.

Aufgrund der sich stündlich ändernden Wetterlage/-prognose war es leider nicht ganz so einfach einen geeigneten Tag für dieses Vorhaben zu finden. Drei Tage vorher machte ich schließlich Nägel mit Köpfen: Donnerstag, den 15. Juli 2021, rücke ich mit dem Rad in Leipzig ein! Laut Wetterbericht sollte es ein regenfreier Tag mit harmlosen Wolken um die 24 Grad werden. Perfekt also.

In den drei Tagen verblieb mir somit genügend Zeit die insgesamt 266 Kilometer Route noch mal durch zu gehen, mich verpflegungstechnisch mit vielen Leckereien auszustatten und mein Rennrad fit zu machen.

Der Tag X war gekommen. An einem wolkenverhangenen Donnerstagmorgen trat ich 5:40 Uhr erstmalig in die Pedale und verließ den elterlichen Hof in Gottschdorf. Klar, ein wenig Überwindung kostet es schon, sich um diese Uhrzeit aufzuraffen. Allerdings folgt die Belohnung augenblicklich: Es ist herrlich still und ruhig auf den Straßen, die Luft ist frisch und unverbraucht UND man beginnt den Tag mit dem, was einen glücklich, zufrieden und einfach im Moment sein lässt. Das vor einem mehr als 260 Kilometer und zwischen 10 und 11 Stunden im Sattel liegen, ist dabei fast schon nebensächlich.

Troztdem dauerte es eine gute halbe Stunde bis ich richtig wach war. Als der Kopf komplett hoch gefahren war machte auch der Körper wie gewohnt mit, sodass ich die ersten 65 Kilometer geschmeidig hinter mich bringen konnte. Gegen 8 Uhr ließ ich Riesa hinter mir und es war Zeit für die erste Pause. Am Maisfeldrand stehend gönnte ich mir ne Banane und nen Riegel, entledigte mich noch kurz meiner Blase und weiter gings. Next stepp: Breaking 100. Selbst die passierte ich ohne größere Mühen. Schon bald erreichte ich dann die Leipziger Vororte. Der Verkehr wurde dichter und diverse ampelbedinge Stop-and-Go’s später stand ich 11:45 Uhr vor dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig.

Das Gefühl war schon etwas überwältigend. Trotz der Euphorie nebelte im Hinterstübchen das Wissen, dass der ganze Weg nochmals runtergestrampelt werden muss. Da ich absolut im vorab kalkulierten Zeitrahmen lag, konnte ich mir eine ausgiebige Pause direkt vor dem 91 Meter hohem Denkmal gönnen. Nach einem Liter isotonischer Flüssignahrung und rund 1.000 Kalorien fester Nahrung raffte ich mich wieder auf, packte den ganzen Krempel zusammen, ließ mich noch fix aus Gründen der Beweisführung tourimäßig mit dem Denkmal fotografieren und sah zu, dass ich die stressige Stadt schnell wieder hinter mich ließ. In meiner Pause hatte ich noch fix die Wetterprognose gecheckt. Leider sah es für den Nachmittag nicht so rosig aus, wie noch einen Tag zuvor angekündigt. Schauer und Gewitter. Na mal abwarten dachte ich mir. Haben wir im Osten ja kaum was abbekommen und wenn, dann meist erst abends. Der Rückweg ging verhälntismäßig auch ganz gut weg und ich konnte meine Durchschnittsgeschwindigkeit von 26,5 km/h halten (Info: kalkuliert hatte ich mit 26). Allerdings machte ich deutlich mehr Pausen, circa aller 20 Kilometer. Irgendwann hingen mir dann auch die Energieriegel und das süße flüssige Gelumper echt zum Hals raus. Da kam der Netto in Dahlen ganz gelegen. Ich holte mir frisches Obst und ne Laugenstange, was sich als ziemlich gute Idee herausstellte. Leider konnte ich keine große Verdauungspause einlegen. Hinter mir sah ich schon, dass sich tatsächlich etwas zusammen braute. Also weiter gings. Als ich Riesa passierte schwand mein Optimismus, dass ich unversehrt heim komme zusehends – die dunklen Wolken verfolgen mich. In Grödel, kurz vor Nünchritz ging dann erstmal nix mehr. Von irgendwoher kam plötzlich böiger Wind, die Wolken öffneten sich und lediglich das Laubdach eines Baumes bot mir zumindest sporadischen Schutz vor der Nässe. Glücklicherweise bekam ein Mann meine missliche Lage mit. Er, selbst Hobby-Radfahrer, winkte mich zu sich her und ließ mich unter seinem Carport ausharren bis das schlimmste (vorerst) überstanden war. Dieses solidarische Verhalten erinnerte mich kurzzeitig an meine Zeit als Radreisende, wo ich über Monate hinweg, des Öftern die Hilfsbereitschaft vieler Menschen der unterschiedlichsten Nation und Kulturen erfahren durfte.

Nach etwa 25 Minuten hatte sich das Wetter kurzzeitig beruhigt. Es hatte jedoch deutlich abgekühlt, sodass ich sogar meine Armlinge überstreifen musste. Mittlerweile war es auch schon kurz vor 17 Uhr und immer es lagen immer noch 55 Kilometer vor mir. Als der Regen nachgelassen hatte, setzte ich mich wieder auf, um hoffentlich halbwegs unversehrt heim zu kommen. Pustekuchen. Keine fünf Kilometer kam ich. In Nünchritz öffneten sich dann erneut die Schleusen über mir. Zusätzlich setzte ein derart starker Wind ein, wodurch ich kurzzeitig in Panik verfiel und fast die Orientierung im Straßenverkehr verlor, da ich nichts sah bzw mir kurioserweise die Luft weg blieb. Irgendwie rettete ich mich, nun klitschnass, unter den Hauseingang eines Mehrfamilienhauses. Leicht zitternd vor Kälte checkte ich noch mal den Wetterradar. Ernüchternd musste ich feststellen, dass es mindestens noch eine halbe Stunde dauern würde, bis das hier alles ausgestanden ist und ich frühestens 18 Uhr weiter konnte. Somit wäre ich dann, durch die enrgieraubende Nässe und Kälte sicher völlig im Eimer, erst pi mal Daumen 20:30 Uhr daheim gewesen. In Kram passte mir dieses Szenario ganz und gar nicht. Wäre die Situation so schon nicht genug, fing es dann auch noch direkt über mir brachial zu donnern an, gefolgt von angsterregenden Lcihtblitzen. Nun war für mich die Sache klar. Hier ist Schluss. Mir bzw. meine Muskeln waren kalt, trocknen würde ich so schnell auch nicht, meine Konzentration schwand allmählich und aus dem Alter bin ich auch raus, wo ich es mir so richtig geben muss. Nach exakt 216,29 Kilometern und 8 Stunden 8 Minuten und 45 Sekunden reine Fahrzeit bei 26,6 km/h beendete ich die Aufzeichnung meiner Tour. Ich ließ mich von meinem Vati abholen. Auch wenn gegen halb sieben wieder die Sonne schien, war ich doch froh mit dieser Entscheidung, da ich echt gut durchgefroren war. Auch das Wissen, dass ich die restlichen 50 Kilomter ohne diesen Wetterumschwung körperlich und mental geschafft hätte, lassen mich im Reinen mit dieser Aktion sein. Mal sehen, ob ich in Zukunft, diese „offene Rechnung“ noch mal begleichen werde.

Wie geht man eigentlich so eine Distanz an, mag sich an dieser Stelle vielleicht manch einer Fragen? Eigentlich ist die Herangehensweise ganz simpel: Die Strecke wird in mehrere Zwischenziele unterteilt. Hinzus unterteilte ich die Strecke in zwei mal 50 Kilometer-Etappen und das finale Zwischenziel Völkerschlachtdenkmal. Auf dem Rückweg teilte ich mir die Strecke in 20 Kilometerziele auf. Insofern, schaffbar ist alles und wenn nicht alles, dann zumindest sehr vieles. Sofern man sich und seinen Körper kennt, ist es oftmals nur reine Kopfsache.