600 km am Stück mit dem Fahrrad – Darüber wie es sich anfühlt und wie man auf die Idee kommt. Unser Teammitglied Erik Pudollek erzählt es uns.
Warum fährt man hunderte Kilometer am Stück mit dem Fahrrad?
Was begeistert einen Radsportler daran, solche langen Strecken zu fahren? Oder reichen 150 km oder 200 km auch?
Unser Teammitglied Erik Pudollek hat schon einige Touren hinter sich, bei denen er weit mehr als „nur“ 200km gefahren ist. Auch erstellt sich manchmal die Frage, warum er das tut und was ihn daran begeistert.
»Warum sollten zum Beispiel 200 km am Stück besser sein als zweimal 100 km?« Er denkt es ist das klassische „Schneller-Höher-Weiter-Denken“. »Immer noch einen draufsetzen, immer noch eine Minute schneller sein zu wollen und sich immer wieder ein neues Ziel setzen. Am Ende läuft es darauf hinaus an seine eigenen Grenzen zu gehen und diese immer neu abzustecken.“
Auch Erik hat mal „klein“ angefangen. Mit dem Radfahren hat er nur begonnen, weil es beim Triathlon nun mal zwischen Schwimmen und Laufen dran ist. Irgendwann ist er dann im Training, mit der Trainingsgruppe, die erste Hundert gefahren und hat damit die erste „magische“ Grenze geknackt.
Während seiner Studienzeit ist er dann „aus Versehen“ 200 km gefahren – die nächste Stufe. Jetzt kann man sich natürlich fragen, wie geht das aus Versehen? Ganz einfach: Erik hat auf dem Rückweg von einer langen Ausfahrt einen Freund getroffen, der gerade losgefahren war. Auf Eriks Tacho standen zu dem Zeitpunkt schon 120 km, sein Freund plante 80 km, da war die Sache klar.
Die Fahrt hat er super weggesteckt und danach wusste er, dass die 300 km das nächste Ziel sind. »Und so geht es dann immer weiter.«
Im Sommer 2019 ist Erik dann das erste Mal 450 km Solo und vier Wochen später 600 km mit einer Gruppe gefahren.
Was macht den Reiz solcher Extremfahrten aus?
Eine Besonderheit ist, dass man zwangsläufig auch in der Nacht unterwegs ist, weil die Fahrtdauer die Tageszeit übersteigt. Für Erik jedes Mal ein ganz besonderes Erlebnis: »Nachts bist du oft fast oder ganz allein auf der Straße. Das ist dann etwas sehr Einzigartiges. Du bist mit dir, deinem Fahrrad und dem Lichtkegel vor dir völlig allein. Egal was ist. Ob es dir in diesem Moment gerade total schlecht oder extrem gut geht, das interessiert niemanden. Weil da niemand ist. Dazu kommt, dass es in den meisten Fällen annähernd still ist. Mehr mit sich allein sein, kann man kaum. Ich mag das irgendwie.«
Diese Momente, allein irgendwo im nirgendwo, sind genau die, welche hängen bleiben. So erinnert sich Erik gern an die rund fünf Stunden zwischen Neubrandenburg und Berlin, als er von Stralsund nach Kamenz gefahren ist. (Besagte 450 km Solo)
»Es war Ende Mai und dementsprechend lange hell, deshalb war gegen 22.00 Uhr in Neubrandenburg die letzte Pause vor der Nacht eingeplant. Da habe ich mir Windweste, Arm- und Beinlinge angezogen und die Lichter am Rad montiert. Mein Plan war es gegen 5.00 Uhr am Alexanderplatz etwas zu essen und die nächste größere Pause zu machen. Dazu sei kurz erklärt, dass ich immer versuche lange Touren recht detailliert zu planen. Ich lege Strecken zum Beispiel so, dass ich nicht gerade zur Hauptverkehrszeit Großstädte durchquere. Auch Fähren fahren teilweise nur zu Betriebszeiten – nichts wäre schlimmer eine viertel Stunde nach der letzten Überfahrt anzukommen und dann eine ganze Nacht warten müsste oder einen langen Umweg in Kauf nehmen zu müssen. Solche Dinge kann man vermeiden. Noch viel wichtiger ist es zu wissen, wo es Möglichkeiten gibt auch nachts etwas zu essen und zu trinken bekommen.«
Ein sehr wichtiger Punkt, bei solchen Aktionen sollte man auf keinen Fall leichtsinnig einfach mal losfahren. Die Sicherheit und die Gesundheit sollten immer im Vordergrund stehen.
»Jedenfalls fuhr ich abends kurz nach um zehn in Neubrandenburg los und wusste, dass sich die nächste Tankstelle erst an der Berliner Stadtgrenze befindet. Die folgenden fünf Stunden durch brandenburgisches Niemandsland waren mental mit einer der härtesten Kämpfe. Links: dunkles Feld, Mitte: die spärlich durch meine Lampe beleuchtete leere Landstraße, Rechts: dunkles Feld. Und das für Stunden. Die einzige Abwechslung waren ab und zu mal ein paar reflektierende Augen von diversen Wildtieren. Ansonsten sind mir in diesem Teilabschnitt vielleicht zwei Autos entgegengekommen und eins hat mich überholt. Sonst nichts. Es war hart. Es hat in dem Moment absolut gar keinen Spaß gemacht, aber ist im Nachhinein einer der schönsten Momente der Tour gewesen.«
Wie motiviert man sich dafür? Und gibt es auch Momente, in denen man keine Lust mehr hat?
Die beruhigende Antwort: Erik hat auch nicht ständig die Motivation für diese, etwas verrückten, Aktionen. »Es gibt durchaus Wochen, in denen habe ich wenig Lust mal länger als eine Stunde auf dem Rad zu sitzen und dann urplötzlich juckt es und ich plane spontan irgendwo hinzufahren – meistens ist sowas dann beispielsweise mit einem Besuch bei Freunden oder meinen Eltern verbunden.« Woher die Motivation in solchen Momenten konkret kommt, kann er nicht sagen – wahrscheinlich ist es so eine Art Abenteuerlust.
»Unterwegs gibt es logischerweise früher oder später immer auch Gedanken, wie: „Warum mach ich das Überhaupt? Man bist du dumm, wärst du mal lieber mit dem Zug gefahren, …“, aber genau diese Tiefphasen sind auch die einprägsamsten! Niemand erinnert sich an eine 08/15 Ausfahrt – ohne Tief und Höhepunkte. Es sagt sich immer so leicht, dass nach jedem Tief auch wieder ein besserer Abschnitt folgt. Das ist auch so. Aber manchmal ist es echt schwer daran zu glauben. Wenn du Hunger hast, müde und erschöpft bist, die Riegel und Gels alle sind und du noch zwei Stunden brauchst, um dich bis ans Ziel zu schleppen. Dann will man sich am liebsten einfach in eine Bushaltestelle setzen und abholen lassen. Aber will man das wirklich? Will man 270 km fahren und dann die letzten 30 km im Auto sitzen? Also ich nicht. Ich denke dieser Kampf gegen den Körper oder vielleicht viel mehr der Kampf im Kopf macht den besonderen Reiz aus. Wäre es einfach, wäre es langweilig.«
Und genau hier sind wir auch wieder bei den Grundlegenden Dingen im Sport und dem Motto: Schneller, Höher, Weiter. Denn genau in diesen Momenten, in denen man scheinbar nicht mehr kann und aufgeben – das Fahrrad in den Straßengraben werfen will – kommen wir an unsere Grenzen. Egal wo diese für jeden sind. Für den einen ist der Punkt nach 500 km, für den nächsten bei 270 km. Vielleicht liegt die Grenze auch bei 150 km, manchmal auch bei 20 km oder an dem Punkt, an dem man sich auf das Fahrrad setzt und einfach losfährt. In dem Moment, in dem wir einen Schritt weiter gehen – wieder aufsteigen und weiterfahren – überschreiten wir die Grenze. Das Gefühl danach ist um so besser. Denn man hat nicht aufgegeben. Man hat weitergekämpft und ist wieder ein kleines Stück stärker geworden.
Was kommt als nächstes? »Dazu habe ich viele Ideen im Kopf. Aber ich glaube, ich hatte schon immer einen kleinen Hang zum Extremen.«
Wir sind gespannt auf die nächsten Abenteuer und freuen uns auf die Berichte davon.
Für alle, die mehr von Erik sehen wollen ist sein Instagram-Account (@erikpudollek) sehr empfehlenswert. Mit viel Humor nimmt er euch dort mit in seinen sportlichen Alltag und auf die ein oder andere verrückte Sport Aktion.